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Episode

Leonie Barth // Mode und Design 

Mit der Hand entwerfen

Leonie Barth ist gefragte Designerin für Taschen und Schuhe. Stift und Papier benutzt sie, um Überblick zu behalten über ihre Ideen, die zu hunderten aus ihr heraussprudeln

Frau Barth, warum nutzen Sie Notizbücher?

Ich brauche sie, um die Entstehungsgeschichte meiner Designs festzuhalten und sie nachverfolgen zu können. Ich habe in Bielefeld studiert, mein Professor, Kai Dünhölter, hat uns immer eingebläut, unsere Projekte unbedingt zu dokumentieren.

Warum ist Dokumentation so wichtig? Steht nicht beim Design die Idee im Vordergrund?

Aber im Kern jedes guten Designs steckt ein Konzept. Es geht im Design nie nur um das Endprodukt, sondern stets um den Weg, den Prozess: von der Inspiration bis zum fertigen Produkt. Wenn Sie das nicht dokumentieren, können Sie es nicht erklären. Notizen helfen mir, meine Gedankengänge nachzuvollziehen – und Sie helfen später, meinen Kunden zu erklären, woher meine Ideen stammen. Ich glaube das ist wohl, was gemeint ist, wenn man von „durchdachtem Design“ spricht.

Wie helfen Notizbücher Ihnen beim Designdenken?

Sie schaffen Kontrolle und Kreativität, beides gleichzeitig. Der Job eines Designers ist nur zu vielleicht 30 Prozent pure Kreativität. Die Neuentwicklung einer Tasche oder eines Schuhs besteht aus unzähligen kleinen Schritten, Form- und Materialrecherche, Projektmanagement, Lieferantenrecherche, Organisation und Abstimmung. Meine Notizbücher sind voller To-Do-Listen, die mir helfen, den Überblick zu behalten und Kontrolle über das, was ich im Alltag leisten muss. Der andere Teil hat mit Formfindung zu tun, ich zeichne, doodle vor mich hin. Denn natürlich habe ich während der Recherche schon immer auch erste Ideen. Wenn ich die nicht festhalten würde, würde ich mich verzetteln.

Was sind das für Zeichnungen?

Die initialen Zeichnungen sind roh, schnell und sehr persönlich. Viele Kreativdirektoren stürzen sich interessanterweise darauf und das, was drumherum im Notizbuch steht. Oft entdecken sie in den Entwürfen etwas, das ich vorher nicht gesehen habe.

Verwenden Sie pro Projekt ein Notizbuch?

Ja. Jedes Entwicklungsprojekt zieht sich über einen langen Zeitraum, der kreative Teil greift in den organisatorischen, da ist es wichtig, alles jederzeit verfügbar zu haben, an einem Ort. Manchmal gibt es auch mehrere Projekte in einem Buch, die aber dann alle mit demselben Kunden umgesetzt werden. Und, ganz ehrlich: Es gibt auch Notizbücher, die nie fertig oder voll werden. Wenn zum Beispiel ein Projekt schlecht läuft, sieht das Notizbuch entsprechend aus. Es ist nicht dick und voller eingeklebter Inspirationen, sondern eher dünn, zerfleddert, weil ich so viele Seiten herausgerissen habe.

Leonie Barth


Meine Hand und mein Kopf verbinden sich in dem Moment, wenn ich auf Papier zeichne.“

Ihr perfektes Buch, Stift, Papier?

Ich muss es mögen. Papier, Format, Haptik. Das Notizbuch darf keine Linien haben, das Papier muss sich gut verhalten, wenn ich mit dem Bleistift zeichne. Für To-Do-Listen und erste Skizzen ist der richtige Stift für mich ein normaler, weicher Druckbleistift mit 0,7 Millimeter Mine. Danach wird es filigran, detailorientiert, es geht um Millimeter: Wie dick ist die Sohle? Wie breit ist der Steg? Wie stark das Material? Zum Zeichnen brauche ich eine 0,3 Millimeter Mine und HB.

Verwahren Sie Ihre Notizbücher?

(Lacht) Unbedingt! Ich bewahre jede einzelne Zeichnung auf. Ich habe eine große Kiste von Zeichnungen zuhause, viele davon nie in umgesetzt, wertvoll sind sie dennoch.

Was sagt Ihr Mitbewohner?

Mein Mitbewohner ist mein Mann. Zeichnungen sind glücklicherweise platzsparend und ich bin in einer guten Verhandlungssituation, denn er hortet noch ganz andere Dinge. Er ist Videokünstler und sammelt Filme, Mini-Discs, alte Fernseher und Schallplatten.

Wenn alle Zeichnungen vor mir auf dem Tisch ausgebreitet sind, schauen mich die guten Ideen an.“

Wie würden Sie ihre Schrift beschreiben?

Ich schreibe fast nur in Großbuchstaben, meine Schrift ist technisch, linear, dynamisch. Meine Notizen sind fast immer auf Englisch.

Wie kommt das?

Ich denke, träume und schreibe auf Englisch, ich bin nach dem Studium nach London gegangen, dort begann meine berufliche Karriere und ich blieb sieben Jahre. Mein erster Job war bei Mother of Pearl, dem Modelabel der Expartnerin von Damien Hirst. Dann wechselte ich zu COS und blieb dort fünfeinhalb Jahre.

Haben Sie auch im Konzern mit Stift und Papier gestaltet?

Alle Designer in unseren Teams haben immer zuerst Handzeichnungen erstellt.

Ist das noch immer so? Es gibt Software, die für Tablets entwickelt wurde.

Es gibt eine Veränderung – und die ist tatsächlich problematisch. Für viele junge Designer ist es mittlerweile schwierig, auf Papier zu zeichnen. Ich hatte letztes Jahr an der Fachhochschule Bielefeld einen Lehrauftrag für Accessory Design. Vor mir saßen 14 Studenten, alle hatten Tablets, alle haben ein digitales Notizbuch geführt und alle haben in derselben Software gezeichnet und entworfen. Ich habe dann diese Software (mal wieder) ausprobiert, wollte mich überzeugen lassen – und erlebte wieder diese typischen, digitalen Komplikationen. Wie funktioniert der Stift? Wo stelle ich die Linie ein? Wie radiere ich? Das bringt mich alles raus. Mit Stift und Papier ist das anders: Meine Hand und mein Kopf verbinden sich in dem Moment, wenn ich auf Papier zeichne.

Ist die Kreation auf dem Tablet nicht eine Frage der Gewohnheit?

Ich glaube, eben nicht. Wenn ich in meinem Projekt auf Seite 20 bin, dann hat mein Notizbuch eine gewisse Fülle, auf die ich jederzeit zugreifen kann. Alles liegt vor mir auf dem Tisch. Auf dem Tablet ist man im Moment, auf der Oberfläche, die sich tragischerweise immer final anfühlt. Im Digitalen verschwindet der Prozess. Viele meiner Studenten kommen zu keinem befriedigenden Endergebnis, weil da nichts Freies passiert. Ich empfehle dann immer, Papier und Stift zu nehmen und es einfach rauszuzeichnen.

Was bedeutet das, rauszeichnen?

Wenn ich eine Handtasche entwickle, habe ich bestimmt hundert verschiedene Handtaschen gezeichnet. Ich bin da obsessiv. Die Verknüpfung zwischen Gehirn, Stift und Papier ist enorm wichtig. Mein Kopf ist voller Gedanken und Ideen. Die müssen rausgezeichnet, verfeinert werden. Anschließend kann ich alles evaluieren. Und das geht nur auf befriedigende und wertvolle Weise, wenn alles vor mir auf dem Tisch ausgebreitet ist. Dann schauen mich die guten Ideen an.

Leonie Barth

Leonie Barth

Leonie Barth wurde 1987 in Gütersloh geboren, studierte Mode und Gestaltung an der Fachhochschule Bielefeld; direkt nach ihrem Abschluss in 2014 gewann sie in Triest den renommierten ITS Award. Sie arbeitete in London bei Mother of Pearl und bei COS, für die sie die „Cloud Bag“ entwarf, eines der erfolgreichsten Produkte in der Historie des Unternehmens. Ihre Arbeiten wurden im Museum of Modern Art Frankfurt ausgestellt, neben Ettore Sottass, Dan Graham, Andy Warhol, Isa Genzken und Ólafur Elíasson. Mit ihrem Mann lebt sie in Berlin und entwirft als freie Designerin Handtaschen, Schuhe und Accessoires für internationale und nationale Modelabels wie GmbH und Unvain.



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Autor Marcus Jauer

Autor Ralf Grauel

Ralf Grauel ist Wirtschaftsjournalist, Publizist und Berater. Er war Redakteur und Autor bei „brand eins“, „brand eins Wissen“ und dem „Zeit Magazin“.  Mit seinem Team von „Grauel Publishing“ hat er „Writers and Thinkers“ entwickelt, wo er regelmäßig Gespräche führt mit Menschen über das Denken mit der Hand.